Pheria 1 – Verhängnisvoller Zauber – Der Wald – Teil 1

Am Horizont tauchten Bäume auf und auf Chalinas Gesicht erschien ein Lächeln.
„Sobald wir die Baumgrenze erreicht haben, sind wir sicher. Kein Geschöpf Alukas kann in den Wald eindringen.“
„Warum nicht?“, fragte Nick und schaute die Nymphe aufmerksam an. Seit dem gestrigen Abend war er an allem interessiert, was sie sagte oder tat. Michelle kam sich wie das berühmte fünfte Rad am Wagen vor.
„Abgesehen von den Tempeln gibt es Pflanzen oder Orte, die einst von unseren Göttern gesegnet wurden. Dieser Wald wird durch zwei Heilige Bäume geschützt.“
„Ich rieche siebzehn Hyänenmenschen,“ sagte Damaris auf einmal. Während er mit dem Kopf nach links deutete, legten sich seine Hände auf die Griffe seiner Schwerter.
„Rasch auf Kenars Rücken.“ Imena packte Michelle und hob sie hoch, dann wandte sie sich an Nick. „Jetzt du.“
Doch er wich zurück.
„Ich werde nicht-“
„Bitte tue es“, flehte Chalina.
„Also gut.“
In diesem Augenblick war Michelle dem Schicksal dankbar, dass Nick Gefallen an Chalina gefunden hatte. Während Imena ihn hinter sie setzte, sagte sie: „Kenar, du flüchtest mit den beiden erst, wenn wir drohen zu unterliegen. Vielleicht haben sich welche gegen den Wind angeschlichen oder einen Hinterhalt vor uns vorbereitet.“
„Flucht liegt mir sowieso nicht.“ Seine Stimme klang so grimmig und tief wie das Knurren eines Wolfes. Dann zog er sein Schwert und Michelle musste rasch zur Seite ausweichen, sodass er sie damit nicht streifte.
„Pass doch auf!“
Die anderen bildeten einen Kreis um sie. Damaris schützte die linke Flanke, Tejon die Rechte, Chalina hatte sich vor Kenar gestellt und Imena nahm die Position hinter ihm ein. Wo war Gavin? Ein Wimmern ertönte unter ihnen.
„Oh weh, oh weh, warum habe ich mich überreden lassen?“
„Bei Dsura, wenn du dich schon unter meinen Bauch wie ein Küken bei seiner Mutter versteckst, sei wenigstens still. Zudem ist das nicht unbedingt der sicherste Platz.“
Plötzlich bewegten sich die Gräser, teilten sich und die ersten fünf Hyänenmenschen griffen an. Sie hatten keine Waffen aus Stahl, aber ihre langen Klauen und die scharfen Zähne wirkten gefährlich genug.
Chalinas Ranke schoss auf den zweiten von rechts laufenden Gegner zu und wickelte sich um seinen Fuß. Mit einem heftigen Ruck brachte sie ihn zu Fall. Er stürzte vor seinen rechten Kameraden, so dass dieser über ihn stolperte. Damaris hatte inzwischen zwei der anderen getötet. Hinter ihnen ertönte ein hässliches Knirschen, Michelle wandte den Kopf und sah den letzten Hyänenmenschen reglos vor Imena liegen. Sie erschauderte. Hatte die Steinfrau ihm mit bloßer Faust die Schädeldecke zertrümmert?
Die restlichen Hyänenmenschen wichen zurück, hoben die Nasen in den Wind und musterten sie, während sie sie umkreisten. Versuchten sie festzustellen, wer von ihnen am schwächsten war? Immer wieder sahen sie Chalina an, aber scheinbar wollten sie nicht riskieren, in Damaris‘ Reichweite zu kommen.
„Kommt schon, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit“, rief Kenar.
Sie griffen an. Jeweils zu viert stürzten sie sich auf Chalina, Imena, Tejon und Damaris. Selbst mit vier Gegnern hatte der Windgeist keine Probleme, doch Imena und Tejon riefen fast gleichzeitig „Vorsicht!“.
Kenar sprang nach vorne, während Gavin schrill aufschrie. Schon war der Zentaur an Chalina vorbei und versetzte einen ihrer Gegner einen Schlag. Sobald er gewendet hatte, hieb er auf die anderen Drei ein. Chalina half ihm, indem sie mit ihren Ranken die Hyänenmenschen behinderte.
Mitten im Gefecht zu sein, ließ Michelle frösteln. Festhalten, einfach nur festhalten, sagte sie sich, doch ihr Blick glitt zur Stelle, wo Kenar vorhin gestanden hatte. Damaris kümmerte sich, um die Hyänenmenschen, die Tejons und Imenas Verteidigung durchbrochen hatten. Der Totengeist lag unter einem toten Hyänenmenschen und versuchte, seinen Kiefer um seinen linken Unterarm zu öffnen.
Auf einmal war der Kampf vorbei.
„Das war unglaublich!“, rief Nick und Michelle musste ihn trotz ihres Schreckens zustimmen, aber da merkte sie, dass sein Blick einzig und allein auf Chalina lag. Seltsamerweise empfand sie Wut statt Eifersucht. Lag das daran, dass sie die Nymphe selbst mochte? Oder weil sie niemanden Nicks flüchtige Zuneigung und das anschließend gebrochene Herz wünschte?
Stöhnend vor Anstrengung schaffte es Tejon, den Kiefer zu öffnen. Nachdem er den Kadaver weggestoßen hatte, zog er seine Handschuhe an.
„Gavin, wo bist du?“, rief Chalina leise.
Suchend schaute sich Michelle um. Lag der Satyr versteckt und bewusstlos unter den Hyänenmenschen? Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich das Gras bewegte und zum Vorschein kam Gavin. Mit kleinen Schritten und zusammengezogenen Schultern trat er zu ihnen, dabei vermied er es, die Toten anzuschauen.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“
Der Satyr öffnete den Mund, klappte ihn aber sofort wieder zu und nickte hastig. Michelle fühlte ihren Schock in ihm gespiegelt, denn sie zweifelte, dass sie gerade fähig war zu sprechen. Obwohl es warm war, fror sie. Als Imena sie bat, auf Kenars Rücken zu bleiben, widersprach sie nicht. Selbst Nick schwieg, dabei war er vorhin so begeistert gewesen.
„Michelle, ich bin bei dir“, flüsterte er ins Ohr.
Seine Worte lösten nicht nur ein stärkeres Zittern aus, sondern vor ihrem geistigen Augen blitzten auch Szenen aus dem Kampf auf. Wie konnten diese Bilder deutlicher sein als das, was geschehen war? Fast war ihr, als hätte sie vorhin nicht wirklich die Dinge wahrgenommen. Nochmal sah sie, wie Kenars Schwert einen Hyänenmenschen in den Hals fuhr … Nein, nein! Reiß dich zusammen, dachte Michelle und konzentrierte sich auf ihren Atem.
Nach einiger Zeit wurde sie ruhiger und sie schaute nach vorne. Der Wald schien nicht mehr weit entfernt. Bald waren sie in Sicherheit. Als ihr Blick begann unruhig, die Umgebung abzusuchen, unterdrückte Michelle ihre Angst und dachte über ihre Gefährten nach. Damaris schien von ihnen der beste Kämpfer zu sein, gefolgt von Kenar, Tejon konnte zwar durch seine Berührungen töten, aber er war wie ein Zivilist, den man an die Front gerufen hat. Imena war vermutlich die Stärkste von allen. Leider waren die Hyänenmenschen schneller als sie. Obwohl die Steinfrau den Nahkampf gewagt hatte, hatte sie keine Verletzungen. Auch an ihren Händen waren keine Abschürfungen zu sehen.
„Bist du unverwundbar?“
„Nein, ein Erendo könnte mich verletzen, allerdings sterben wir erst, wenn der Kopf stark beschädigt oder vom Körper abgetrennt wird.“
Endlich erreichten sie den Wald und Michelle konnte spüren, wie sich ihre Führer entspannten. Die Blätter der Bäume und Sträucher leuchteten in Frühlingsgrün und es duftete nach Leben und Erde. Sie atmete tief durch und fühlte sich glücklich. Konnte es sein, dass in Deutschland die Wälder nicht so rochen, weil die Menschheit die Luft seit mehr als zwei Jahrhunderten verschmutzte? Während sie weitergingen, blickte Michelle sich neugierig um. Dieser Ort wirkte licht und freundlich und sie entdeckte einen Fasan, der wie ein Pfau ein prächtiges Rad schlug. Sein Brustgefieder war grün und seine Schwanzfedern mit den schillernden Augen gelb. Chalina beugte sich zu ihr.
„Wenn du Glück hast, siehst du vielleicht auch ein Einhorn.“
„Ist das dein Ernst?“ Als Kind hatte sie diese Fabelwesen geliebt. Das letzte Einhorn war ihr Lieblingsfilm gewesen.
„Bestimmt traut sich keins ran, solange Kenar da ist“, sagte der Satyr.
„Das sagt der Richtige.“
Die beiden wechselten einen angespannten Blick, dann erhellte sich Gavins Miene.
„Ich kann es kaum erwarten zu meinem Junggesellenstamm zurückzukehren, aber keine Angst, Michelle. Noch haben wir den gleichen Weg.“
Sie lächelte ihn an. Chalina und er waren die umgänglichsten ihrer Gruppe. Obwohl Imena die Anführerin war, war sie fast ebenso schweigsam wie Tejon und Damaris, und Kenar machte ihr durch seine Art noch immer etwas Angst.
Gavin schaute Chalina an.
„Werde ich einen Abschieds- nach meinen Heldenkuss bekommen?“
Die Nymphe lachte.
„Ich weiß nicht. Vielleicht.“
Nick beugte sich zu Michelle.
„Chalina hat ihn geküsst? Wann?“
„Als du dir die Bilder von den Elefanten angesehen hast.“ Sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
„Bald wird die Sonne untergehen“, sagte Imena, „wir werden hier unser Lager aufschlagen. Chalina, Kenar, Gavin, bitte sucht Nahrung und Wasser.“
Als die drei in unterschiedliche Richtungen gehen wollten, regte sich Nick.
„Ich komme mit, Chalina! Ich will lernen, wo man Nahrung im Wald findet.“
Das glaubte Michelle keinen Augenblick. Bestimmt würde er, wenn er mit der Nymphe alleine war, deutlicher mit ihr flirten.
„Möchtest du ebenfalls mitgehen?“, fragte Imena sie.
„Ja.“ Die Antwort entschlüpfte ihr, bevor sie sich beherrschen konnte.
„Gut, begleite Gavin.“
So viel zu ihrem Wunsch, die beiden durch ihre Anwesenheit voneinander fernzuhalten. Rasch ging sie zum Satyr, der sie freudestrahlend ansah, als hätte man ihm ein wertvolles Geschenk gemacht. Hoffentlich bemerkte er ihre Enttäuschung nicht. Kaum hatten sie das Lager verlassen, beschrieb er ihr wie eine Pflanzenkunde essbare Beeren und Wurzeln, dabei sparte er nicht an Komplimenten.
„Schau, das sind die Blätter von Felan-Knollen. Normalerweise muss man sie ausgraben, aber vielleicht können deine wunderschönen Hände sie aus dem Boden locken. Warte, ich scharre etwas die Erde weg.“
Nachdem er den Boden um die Pflanze gelockert hatte, bückte sich Michelle, packte das Gemüse und zog. Kein Stück gab es nach.
„Wollen wir es gemeinsam probieren?“, fragte der Satyr leise und sie nickte.
Sie rüttelten und zogen, doch die Pflanze wollte nicht aus der Erde. Schnaubend ließ sich Gavin auf seinen Hintern fallen.
„Wo ist der Zentaur, wenn man ihn braucht?“ Auf einmal bewegten sich seine Nasenflügel. „Ich glaub, ich rieche Himbeeren. Komm.“
Sie folgten dem Geruch und kamen zu einer langen Hecke. Gavin reichte ihr ein Tuch und vorsichtig begannen sie, die Früchte zu pflücken.
„Dein Haar schimmert so seidig. Ich würde es gerne berühren“, ertönte von der anderen Seite Nicks Stimme und Michelle trat einige Schritte nach links. Dort war die Hecke etwas niedriger und sie konnte hinüberspähen.
„Mein Haar berühren?“ Verblüfft schaute die Nymphe Nick an. „So einen Satz hätte ich eher von Gavin erwartet.“
„Ich kann nicht glauben, dass du ihn geküsst hast.“
„Es war nur ein Kuss.“
„Nur ein Kuss“, wiederholte Nick und trat an sie heran. Sein Kopf neigte sich zu ihr, aber Chalina wich aus.
„Oh, diese Art von Küssen vergebe ich nicht.“
Nun, da kein anderes weibliches Wesen in der Nähe war, das seinen Idealvorstellungen entsprach, baggerte er die Nymphe an! Nick ist schlimmer als ein Satyr, dachte sie. War es so schwer längere Zeit, ohne Freundin auszukommen?
„Wollen wir gehen?“, flüsterte Gavin. „Wir haben ja einige Himbeeren und können es noch einmal mit den Felan-Knollen versuchen.“
„In Ordnung.“
Froh, dass die beiden sie nicht bemerkt hatten, gingen sie zurück und zogen gemeinsam an der Pflanze. Nick, du bist ein Idiot – und ein Egoist! Wenn man aus einer anderen Welt kam, hatte man einen überzeugenden Grund zur Trennung. Scheinbar verlieh ihr die Wut Kraft, denn diesmal gelang es ihnen, die Felan-Knolle herauszuziehen. Sie fielen zurück und Michelle blickte auf eine kartoffelartige Knolle, die fast so groß wie ein kleiner Kürbis war.
„Noch einmal!“, sagte sie, denn sie wollte mit vollen Händen zurückkehren.
Auch die zweite konnten sie ernten, aber bei der Letzten zerrten sie solange, bis ihnen die Armmuskeln wehtaten. Während Gavin die Himbeeren trug, kehrte sie mit einer Felan-Knolle pro Hand ins Lager zurück. Obwohl ihre Arme schmerzten, war sie aus irgendeinen Grund stolz auf sich. Dieses Gefühl wurde nur geschmälert durch die Tatsache, dass Chalina und Nick immer noch fort waren. Die Nymphe hatte sich nicht küssen lassen, aber vielleicht wollte sie es ihm nicht zu einfach machen. Da sie nett zu jedem war, fiel es Michelle, schwer einzuschätzen, ob sie sich für Nick interessierte. Sie musste mit ihm sprechen.
„Man kann die Felan auch mit Schale in der Glut vergraben,“ sagte Gavin, als sie die Knollen neben dem Feuer ablegte, „aber ich möchte sie etwas leckerer zubereiten.“ Flink wie ein Koch schälte er die beiden Stücke und bat sie einige Kampferblätter vom Lagerrand zu holen. Als sie zurückkehrte, nahm er eins der Blätter als Unterlage und schnitt die Knolle in Scheiben. Nachdem sie auch die Blätter zerkleinert hatten, legten sie das geschnittene Gemüse drauf. Gavin holte ein kleines Beutelchen aus seiner Tasche und verstreute die zerbröselten Kräuter. Schon der Geruch war appetitlich. Danach rollten sie die Felan-Knollen in die Blätter und schoben sie unters Feuer.
Beim Aufblicken bemerkte sie, dass Kenar zurückgekehrt war. Nick und Chalina kamen zurück, als die ersten fertig waren.
„Was riecht denn hier so gut?“ Nick schien es nicht zu bekümmern, dass er abgeblitzt war.
„Felan-Knollen.“
Während sie aßen, achtete sie auf die beiden, aber keine Geste verriet, dass sie sich nähergekommen waren. Die Nymphe hatte sich neben Damaris gesetzt. Michelle überlegte mit welcher Ausrede, sie Nick um ein Gespräch unter vier Augen bitten konnte.
„Kann ich mal mit dir sprechen?“, fragte Nick nach dem Essen.
„Klar.“
Sie entfernten sich etwas von den anderen.
„Kannst du mir sagen, was eine Frau an einem Satyr findet? Er ist zur Hälfte ein Tier.“
„Ich glaube, du verstehst da etwas falsch. Chalina hat ihn auf die Wange geküsst.“
„Warum hast du nicht gleich gesagt?“ Erleichtert lachte er und seine Augen funkelten wie bei jemanden, der die erste Runde verloren hatte und sich vornahm in der zweiten sein Bestes zu geben. War er schon immer so gewesen?
„Könntest du dir vorstellen, hierzubleiben?“, fragte Michelle.
„Bist du von Sinnen? Das würde bedeuten, nie wieder zu fotografieren! Manchmal, wenn ich ein schönes Motiv sehe, spüre ich, wie mein rechter Zeigefinger zuckt.“
Diese Antwort erleichterte sie.
„Was denkst du über Chalina?“
„Sie ist eine tolle Frau.“
Wie bewundernd seine Stimme klang. Michelle spürte einen Kloß im Hals und musste ein paar Mal schlucken, bevor sie sprechen konnte.
„Ich mag sie auch und möchte, dass du ihr nicht wehtust.“
Verständnislos hob Nick die Brauen.
„Du weißt, was ich meine!“ Sie presste die Lippen aufeinander.
„Das hört sich so an, als wäre ich irgendein Schürzenjäger.“
Darauf antwortete sie nicht. Auch wenn er keine Erfolgsliste seiner Eroberungen führte, war das Ergebnis für seine ehemaligen Partnerinnen gleich. Vielleicht hoffte er, dass die nächste Frau ihm gab, was er suchte, dabei hatte er viele nette Freundinnen gehabt. Er sollte nicht auch Chalina verletzen.
Seine Augenbrauen zogen sich zusammen.
„Das denkst du also von mir.“
Abrupt drehte er sich um und Michelle hatte nicht das Bedürfnis, ihn zurückzurufen, sondern folgte ihm stumm. Ohne einander eine gute Nacht zu wünschen, legten sie sich schlafen.

Ihre aufgewühlten Gefühle verfolgten sie in ihren Träumen und sie fand sich in einem Beichtstuhl wieder. Was machte sie hier? Und warum roch es nach billigem Parfüm statt Weihrauch? Michelle griff zur Klinke, aber die Tür war verschlossen. Als sie sich umdrehte, war sie überrascht, denn kein karger Stuhl erwartete sie, sondern er war mit roten Polstern überzogen und hatte bequeme Armlehnen. Eine Tür klapperte und jemand setzte sich in die Kabine nebenan. Durch das vergitterte Fenster erkannte Michelle sie. Es war das erste Mädchen, das sie um Hilfe gebeten hatte, Nick zurückzugewinnen. Auch jetzt schüttete Julia ihr Herz aus, bevor sie ging, doch damit endete es nicht. Nacheinander traten andere Exfreundinnen von Nick ein, während sie in ihrer eigenen Kabine gefangen war. Ihr Herz schmerzte vor Mitleid und Verzweiflung.
Auf einmal begann, die Kabine zu beben. Heftig atmend riss Michelle die Augen auf und merkte, dass die Nymphe neben ihr kniete und gerade die Hand von ihrer Schulter nahm.
„Du hattest einen schlimmen Traum. Möchtest du dich etwas bewegen, um den Schrecken abzuschütteln?“
Nickend stand sie auf und spazierte mit Chalina um das Lager herum.
„Habt ihr euch meinetwegen gestritten?“, fragte die Nymphe. „Es tut mir leid, wenn ich so gewirkt haben sollte, als wäre ich interessiert.“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.“
„Hast du ihm je gesagt, was du für ihn empfindest?“
Sie schwieg und Chalina legte den Kopf schräg.
„Warum nicht?“
Was sollte sie darauf antworten? Michelle wollte nicht schlecht über Nick reden, vor allem nicht wenn er keine Chance bei Chalina hatte.
„Das ist kompliziert.“
„Vermutlich, wir Nymphen sind froh, dass wir nur aus einem Geschlecht bestehen.“
„Aber wie bekommt ihr Kinder?“
„Wir verwandeln uns 3 Jahre in Bäume, wenn wir uns welche wünschen. Geht es dir besser?“
„Ja, danke.“ Obwohl sie der Nymphe ihren belastenden Traum und die dahinterstehenden Erfahrungen nicht erzählt hatte, fühlte sie sich erleichtert und legte sich wieder schlafen.

Am nächsten Morgen war zwischen Nick und ihr wieder alles normal, zumindest von seiner Seite aus. Es war erstaunlich, wie leicht er verzieh, wenn es nicht um seine Eltern ging. Nach dem Frühstück brachen sie auf und Michelle schaute sich aufmerksam um. Vielleicht konnte sie einige Pflanzen erkennen, die Gavin ihr gestern beschrieben hatte. Zu ihrer Rechten bedeckte ein Teppich aus blauen Waldblumen den Boden. Verblüfft zwinkerte Michelle. Hatte sie wirklich eine kleine Frauengestalt mit glitzernden Flügeln in eine Blüte fliegen sehen?
„Michelle?“, fragte Nick.
„Ich glaube, ich habe eine Fee gesehen. Sie ist da hineingeflogen.“
Neugierig schaute er zur Blüte.
„Bleib lieber hier“, sagte Chalina. „Feen sind nicht so harmlos, wie sie aussehen.“
„Was tun sie?“
„Ihre Magie ist schmerzhafter als jeder Bienenstich, besonders ihren Nestern sollte man fernbleiben.“
Die Fee erschien wieder und Nick fluchte leise.
„Was würde ich alles für eine Kamera mit Teleobjektiv geben!“
Ohne sich um sie zu kümmern, flog die Fee an ihnen vorbei. Ihre Flügel schillerten leicht gelblich und ihr Torso war mit Pelz bedeckt. Fast wirkte es so, als trüge sie ein Fellkleid. Ihre nackten Arme und Beine waren wohlgeformt. Kein Wunder, dass Nick sie gerne fotografiert hätte. Sie war ein faszinierendes Geschöpf.
Nachdem sie die Wiese hinter sich gelassen hatten, knackte es auf einmal laut im Dickicht. Eine Gruppe Zentauren brach hervor und umzingelte sie. Einige von ihnen hatten ihre Speere erhoben.
„Was wollt ihr hier?“ Der Wortführer war ein blonder Zentaur, der sie grimmig musterte. „Wieso durchquert eine Gruppe wie eure unser Gebiet?“
„Ich bin Imena, die Seherin vom Berg, und wir haben uns zusammengeschlossen, damit etwas, was ich prophezeit habe, wahrwerden kann.“
Der Blick des Zentaurs fiel auf Michelle und Nick.
„Sind das echte Menschen?“
„Ja.“
Sie hörte, wie er scharf den Atem einzog.
„Kommt mit uns. Der Leithengst wird entscheiden, ob Menschen unser Gebiet durchqueren dürfen.“
Die Zentauren nahmen sie in ihre Mitte und führten sie durch den Wald. Das Licht schimmerte auf ihren Speerspitzen.
„Droht uns Gefahr?“, fragte Michelle Imena.
„Nein, sie halten die Entscheidung für zu wichtig, um sie alleine treffen zu können, aber wenigstens bewegen wir uns noch immer in die richtige Richtung.“
Michelle entspannte sich etwas und einige Zeit später betraten sie eine Lichtung, auf der etwa zwanzig Holzhütten standen. Trotz ihrer Einfachheit hatten viele Vordächer, unter denen weibliche Zentauren lagen und ihrer Arbeit nachgingen. Sie trugen enge, bestickte Lederwesten und viele hatten den obersten Knopf geöffnet, damit ihr Dekolleté besser zur Geltung kam. Gavin wusste gar nicht, wohin er zuerst schauen sollte, und leckte sich aufgeregt über die Lippen. Der blonde Zentaur führte sie zu einer Hütte, die sich nicht von den anderen unterschied.
„Gemon, ich bitte dich sprechen zu dürfen.“
„Komm später wieder, Jaron.“
„Wir benötigen dringend deinen Rat.“
„Also gut, komm rein, aber wehe du belästigst mich mit Nebensächlichkeiten, dann darfst du dir erst nächstes Jahr eine Frau nehmen.“
Nachdem der Zentaur seinen Speer neben die Tür gelehnt hatte, trat er ein. Da er sich nicht bemühte, leise zu sprechen, konnten sie ihn draußen gut verstehen.
„Wir haben eine achtköpfige Gruppe aus verschiedenen Völkern und Menschen gestellt“, sagte er.
„Wie bitte?“
„Zwei Menschen wurden von der Anführerin, der Steingeborenen Imena, in unser Gebiet gebracht.“
„Weg da, ich mache mir selbst ein Bild.“
Der Leithengst trat hinaus. Die buschigen Augenbrauen in seinem kantigen Gesicht waren zusammengewachsen und gaben ihm einen besonders grimmigen Blick, als er sie alle musterte.
„Ich bitte dich um ein Gespräch unter vier Augen“, sagte Imena und Michelle erkannte, dass der Zentaur mit dem kastanienbraunen Haar und Fell sie nicht im Geringsten einschüchterte.
„Bist du ihre Wortführerin?“
Imena nickte.
Sekundenlang glitt Gemons Blick über sie alle hinweg, als wartete er auf einen Einspruch.
„Dann komm.“
Die beiden verschwanden in der Hütte und diesmal klang kein Gesprächsfetzen nach draußen. Während sie ausharrten, scharten sich mehr Zentauren um sie. Sie wirkten verwirrt und beunruhigt.
„Ich habe das Gefühl, dass sie Menschen für nichts Gutes halten“, flüsterte sie Nick zu.
„Mach dir keine Sorgen. Die sind einfach neugierig, weil sie noch nie einen Menschen gesehen haben – und jetzt haben sie das Glück einen weiblichen und männlichen zu sehen.“
Nick hatte sich um einen heiteren Tonfall bemüht, der am Ende jedoch zu gereizter Ironie gekippt war. Ihm gefiel die Warterei ebenso wenig wie ihr. Endlich kamen Imena und Gemon wieder heraus.
„Meine liebe Herde, ich sehe, dass sich viele von euch schon versammelt haben. Die Steingeborene neben mir ist eine bekannte Seherin namens Imena und vor einigen Wochen kam eine Prophezeiung über sie, dass eine Sterbliche unsere Welt retten wird. Also suchte sie alle Völker auf, damit sie die Erwählte unterstützen sollen. Auch wir werden unseren Beitrag dazu leisten, indem wir ihnen für diese Nacht Unterschlupf gewähren, ihren Proviant auffüllen und ihnen Umhänge für eine Reise in eine kalte Gegend anfertigen werden.“ Nach dieser Ansprache an sein Volk wandte er sich an sie. „Seid willkommen bei den Wächtern des Heiligen Baumes. Ich gebe euch die Erlaubnis, euch freizubewegen, aber zunächst brauchen wir eure Maße für die Umhänge. Mara, bist du hier?“
„Ja, Gemon.“
Die Menge trat beiseite, um eine Zentaurin mit falbfarbenem Fell durchzulassen. Durch ihr Haar zogen sich bereits einige hellgraue Strähnen.
„Nimm dir ein paar Stuten und fertige fünf Umhänge an. Die beiden Menschen, unser Bruder aus dem anderen Stamm, die Nymphe und der Satyr benötigen welche.“ Er machte eine kleine Pause, in der sich Michelle fragte, ob Imena hoffte, dass Gavin es sich noch anders überlegte und bei ihnen blieb. Gemon fuhr fort: „Am besten legen wir auch gleich fest, wo unsere Gäste schlafen werden.“
„Die beiden Menschen dürfen bei mir wohnen!“, rief eine helle Stimme, dann fügte sie leiser hinzu: „Leider habe ich nicht mehr Platz.“
„Gut, Doria. Imena, der Windgeist und ihr schwarzgekleideter Freund können bei mir die Nacht verbringen.“
Daraufhin sagte Jaron, dass Kenar, Chalina und Gavin bei ihm übernachten konnten, dabei wirkte sein Mund einen Moment so verzogen, als hätte er in eine verfaulte Frucht gebissen.
Während Mara ein paar Namen rief, kehrte Gemon in sein Haus zurück und ihre Wächter verschwanden, bis auf Jaron, der Gavin mit schmalen Augen ansah.
„Satyr, wir dulden keine Belästigung unserer Frauen.“
„Das ist so klar wie Quellwasser. Ich hänge sehr an meiner Unversehrtheit und werde mich anständig verhalten.“
„Ein Satyr und anständig?“ Der Zentaur lachte. „Das ist das Witzigeste, was ich heute gehört habe. Das muss ich den anderen erzählen.“
Nachdem Jaron davongaloppiert war, verschränkte Gavin die Arme.
„Arrogante Zentauren“, flüsterte er. Im nächsten Moment fuhr er zusammen und sah sich rasch um, aber scheinbar hatte niemand sonst ihn gehört.
Mara und die anderen Zentaurinnen traten zu ihnen und baten sie, ihnen zu folgen. Kaum waren sie losgegangen, ertönten hinter ihnen schnelle Hufschläge und eine weitere Zentaurin stieß zu ihnen. Ihre grauen Augen funkelten aufgeregt.
„Ich bin Doria.“
„Mein Name ist Michelle und das ist Nick. Vielen Dank, dass Sie uns aufnehmen.“
„Oh, du bist ja ein höfliches Mädchen. Es tut mir leid, es zu erwähnen, aber ihr riecht wie ein Jägertrupp, der eine Woche nicht nach Hause gekommen ist. Daran müssen wir, wenn Mara mit euch fertig ist, gleich etwas ändern.“
Michelle spürte, wie ihre Wangen warm wurden, und nickte.
„Du hast keinen Grund, dich zu schämen. Ah, da ist bereits Maras Haus.“
Sogleich verschwand Mara darin, kam mit fünf Maßbändern zurück und gab jeder ihrer Helferin eines, dann wandte sie sich an Michelle.
„Steh gerade.“
Während sie ihre Körperlänge mass, hörte Michelle, wie Gavin mit stolzer Stimme erzählte, dass er auf Orianas Insel gewesen war, aber sie sollte nie erfahren, ob es ihm gelungen wäre, die Zentaurin mit seinen Abenteuern zu beeindrucken, denn Mara fragte: „Seid ihr fertig? Dann ab an die Arbeit!“
Alle bis auf die, die Kenars Maße nahm, bejahten und huschten davon. Bevor Mara in ihre Hütte verschwand, sagte sie zu Doria: „Bitte nimm dich auch des Satyrs an.“
„Ich schätze, das sollte ich wohl.“ Einen Augenblick wirkte sie unglücklich, dann erhellte sich ihr Gesicht. „Kommt mit.“
Nachdem Doria sie zu ihrem Haus gebracht hatte, scheuchte sie sie hinein. Beim Eintreten sahen sie, dass es nur einen langen Tisch gab, der am Fenster stand. Regalfächer befanden sich an dem fensterlosen Teil der Wand über der Holzplatte und waren gefüllt mit Vorräten. Trotz dessen sah die Konstruktion fast wie eine Werkbank aus, fand Michelle. Als Zentaur hatte man vermutlich weder Bedarf für Stühle noch für Regale, die bis zum Boden reichten.
„Macht es euch bequem und geduldet euch ein wenig, während ich Wasser hole.“
Als Nick Doria anbot, ihr zu helfen, sah sie ihn kurz zweifelnd an, dann drückte sie ihm aber einen Eimer in die Hand, während sie selbst zwei nahm und vorausging. Michelle lauschte, wie ihre Schritte verhallten.
„Jetzt sind wir ganz allein“, murmelte Gavin und scharrte mit dem Huf.
„Das ist doch nicht das erste Mal.“
„Ja, aber da waren wir nicht in einer Hütte. Wenn eine Satyrdame einen Satyrmann zu sich nimmt -“ Er sprach nicht weiter. Der glänzende Ausdruck verriet, dass er vor sich hinträumte.
Michelle wollte ihn dabei nicht stören und wartete ab, bis Doria und Nick zurückkamen. Als die Zentaurin eine Tonschüssel mit Wasser und wohlriechenden Kräutern vorbereitet hatte, sagte sie:„Stuten leiden unter strengen Geruch mehr als Hengste, deshalb kommt ihr beiden mit mir nach draußen. Michelle, ich werde darauf achten, dass sie dich nicht heimlich beobachten. Kipp das Wasser, wenn du fertig bist, einfach aus dem Fenster.“
Zum Glück bestand der Boden der Hütte aus bloßer Erde, so dass sie sich wenig Gedanken über Wasserspritzer machen musste. Es tat so gut, sich zu waschen. Nachdem sie eine neue Seifenlauge gemacht hatte, ging sie erfrischt nach draußen.
Als Nick in der Hütte verschwunden war, sagte Doria: „Ich werde mal schauen, ob ich ein paar Decken für euch auftreiben kann, damit ihr es in der Nacht etwas gemütlicher habt. Du liebe Güte, ich habe ganz vergessen, dass ich Rena helfen wollte. Kommt ihr zurecht?“
„Klar.“
„Wunderbar, dann sehen wir uns beim Abendessen.“
Die Zentaurin trabte davon und wenig später kam Nick heraus. Seine nassen Haare glänzten in der Sonne wie das Gefieder eines Kohlraben und Michelle bemerkte nur nebenbei, wie der Satyr in die Hütte ging.
„Scheint, als hätten wir nun Freizeit“, sagte Nick lächelnd. „Wollen wir zum Teich gehen? Er ist wunderschön.“
Ihr Herz schlug schneller, aber sofort drängte sich eine Frage auf: Warum wollte er auf einmal mit ihr Zeit verbringen? Außerdem konnten sie Gavin nicht zurücklassen.
„Wir sollten auf Gavin warten.“
„Du hast also auch an ihm einen Narren gefressen.“
Wütend sah sie ihn an. Darum ging es nicht! Michelle wollte nicht, dass er alleine herumlief und das Opfer von Mobbing wurde. Die Zentauren schienen nicht viel von Satyren zu halten. Außerdem hatte Nick kein Recht, in dieser vorwurfsvollen Stimme mit ihr zu sprechen.
In diesem Moment galoppierte ein Zentaurenkind um die Ecke. Als es sie sah, stolperte es über die eigenen Hufe und stürzte. Michelle lief zu ihm hin.
„Alles in Ordnung? Hast du dir wehgetan?“
„Geh weg von ihm!“ Eine Zentaurin mit weißem Fell kam ebenfalls um die Ecke und stieß sie mit beiden Händen fort. „Du kannst mir nichts vormachen. Menschen sind böse, sonst lebten sie nicht in einer anderen Welt.“
Die Zentaurin zog das Kind fort und Michelle rieb sich das schmerzende Brustbein. Wenigstens hatte sie nicht ihre Hufe benutzt.
„Sie wollte ihm nur helfen!“, rief Nick erbost, ehe er sich schnaubend an Michelle wandte. „Mach dir nichts draus.“
Stumm nickte sie, dann begann sie zu frösteln, denn sie fragte sich, wie eine Welt mit Menschen, Zentauren und Satyren aussähe. Menschen kamen noch nicht einmal miteinander klar. Dass die Zentauren ihnen misstrauten, obwohl sie ihnen Hilfe angeboten hatten, dämpfte Michelles Wunsch, sich umzusehen.
„Vielleicht sollten wir uns einfach in Dorias Hütte zurückziehen.“
„Willst du wirklich den Rest des Tages da drinnen verbringen? Gehen wir zum Teich, außer Pferdeställen gibt es hier sowieso nichts zu sehen.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Warten wir noch auf Gavin.“
„Das werde ich nicht tun. Du findest mich am Teich.“
Unglücklich sah Michelle, wie Nick mit raschen Schritten davonging. Sie hatten es tatsächlich geschafft, den Streit vor dem Ereignis mit der Zentaurin wiederaufzunehmen.
„Du hast auf mich gewartet“, sagte Gavin überrascht.
Lächelnd drehte sich Michelle um. Ihr wurde klar, warum der Satyr so lange gebraucht hatte. Nicht nur sein Haar war nass, sondern auch sein Fell.
„Natürlich, ich möchte nicht alleine das Dorf erkunden.“
„Ich ebenfalls nicht. Wo wollen wir hin?“
Auf keinen Fall würde sie Nick hinterherlaufen, also deutete sie in die andere Richtung. Am Rand des Dorfes sahen sie Chalina vor einem Strauch mit wunderschönen weißen Blüten knien. Sie schien zu beten und der Wind trug einen zarten Duft zu ihnen. Michelle wollte warten, bis die Nymphe fertig war, doch Gavin rief: „Hallo Chalina, geht es dem Heiligen Baum gut?“
Michelle blinzelte überrascht, denn der Strauch war nicht einmal zwei Meter hoch. Inzwischen hatte sich Chalina erhoben und nickte ihnen lächelnd zu.
„Dieser zierliche Baum beschützt den halben Wald vor den Hyänenmenschen?“
„Ja, er ist das Gegenteil von der riesigen Eiche, die im Nordteil steht. Zeigen die beiden nicht wunderbar, dass Größe keine Rolle spielt?“
So wunderschön der Strauch auch war, Michelle fühlte sich nun etwas unsicher, so verwundbar schien er ihr. Trotzdem nickte sie, um Chalinas gute Laune nicht zu trüben.
„Wart ihr schon am Teich?“, fragte die Nymphe.
„Nein“, antwortete Michelle zögernd und hatte auf einmal den dringenden Wunsch, mit Nick zu sprechen, damit er sie verstand. „Nick wollte mich aber da treffen.“
Chalina lächelte ihr aufmunternd zu.
„Dann solltest du ihn nicht länger warten lassen.“
Gavin stieß einen Seufzer aus.
„Oh, Eshan, du hast mir das Glück beschert, mit zwei schönen Frauen alleine zu sein, und entreißt es mir so schnell, aber ich werde nicht klagen.“
„Danke, Gavin“, sagte Michelle.
Sie merkte, dass sie rasch ging. Rascher, als sie wollte, doch als sie den See erreichte, erstarrte sie. Nick und eine Zentaurin mit langem, rabenschwarzem Haar küssten sich gerade leidenschaftlich. Tränen stiegen ihr in die Augen und sie warf sich herum, um von diesem Anblick davonzulaufen. Was war mit Nick los? Erst beschuldigte er sie, sich für Gavin zu interessieren, und nun knutschte er selbst mit einem Mischwesen herum. Als sie den Waldrand erreichte, ließ sie sich auf den Boden fallen. Obwohl Michelle es nicht wollte und dagegen ankämpfte, begann sie zu schluchzen. Sie stemmte sich auf ihre Beine und versteckte sich hinter dem nächsten Baum, damit niemand sie vom Dorf aus sah, dann lehnte sie sich an den Stamm, zog die Knie an und drückte ihr Gesicht dagegen.
„Michelle“, sagte eine Stimme sanft.
Sie schaute nicht auf. Nie hätte sie gedacht, dass Imena so freundlich klingen konnte, aber sie versuchte nicht, sie zu umarmen, um sie zu trösten. „Ist es normal, für die Frauen deiner Welt, dass sie einem Mann zu liebe weniger sein wollen als sie sind?“
Verwirrt hörte sie auf zu weinen. „Wie meinst du das?“
„Wegen deiner Liebe zu Nick hast du die Schatten gesucht und dich nicht entfaltet.“
Michelle riss den Kopf hoch.
„Das ist nicht wahr!“
Imena schaute sie mit ihren weißen Opalaugen an und sie senkte den Blick. Das durfte nicht wahr sein …
„Wenn du die Prophezeiung erfüllen willst, darfst du keine Angst haben, deine Stärken zu finden. Außerdem wird eine Beziehung, die auf Selbstverleugnung beruht, dich nicht glücklich machen.“ Sie machte eine Pause. „Täte es dir gut, wenn ich Chalina suche und zu dir schicke?“
„Nein, ich möchte alleine sein.“
„Wie du willst.“
Zwei fast völlig fremde Frauen hatten ihre wahren Gefühle erkannt. Warum hatte Nick nichts bemerkt, mit dem sie aufgewachsen war? Vielleicht waren Männer dafür blind. Auf einmal fühlte sie sich erschöpft und fuhr sich durch das Haar. Und Imena suchte sich eigenartige Zeiten aus, um Dinge anzusprechen.

Als Michelle in das Dorf zurückkehrte, verblasste der Himmel darüber in einem zarten Rosa und sie sah, wie die Zentauren ihre Tische nach draußen stellten und forttrugen.
„Sie geben ein Fest für uns.“
Erschrocken machte sie einen Satz zur Seite und Damaris lächelte entschuldigend. „Darf ich dich zum Fest bringen?“
Eine Ahnung beschlich sie. „Warst du die ganze Zeit in meiner Nähe?“
„Ja, ich habe gesehen, dass du aus dem Dorf gestürmt bist.“
Also hatte er sie weinen sehen, sie wich seinem Blick aus.
„Du brauchst dich nicht zu schämen. Auch wenn wir uns erst jetzt begegnet wären, hätte ich das Salz der Tränen gerochen.“
„Sieht man mir an, dass ich geweint habe?“
„Nein, Michelle.“
Lächelnd hob sie den Kopf.
„Dann können wir gehen.“
In der Dorfmitte brannte ein Feuer, über dem ein Eber auf einem Spieß brutzelte und den Geruch nach knusprigem Fleisch verbreitete. Die Tische waren kreisförmig darum angeordnet. Holzteller und Metalltöpfe klapperten, denn die Zentaurinnen waren gerade dabei, das Essen aufzutragen. Chalina und Gavin standen bereits hinter einem Tisch und winkten ihnen zu.
„Ah, wunderbar, schaut, was die Frauen uns mit liebevollen Händen zubereitet haben“, sagte Gavin, als sie sich zu ihnen gesellten.
Inzwischen waren alle Tische mit verschiedenen Speisen und Suppen gedeckt worden und eine Stute blies in ein Horn. Die Zentauren strömten herbei und Michelle bemerkte, dass sie nach Nick Ausschau hielt. Ob er in Begleitung der Schwarzhaarigen käme? Nein, er kam alleine und drängte sich zwischen sie und Gavin, dem er einen finsteren Blick zuwarf. Der Satyr nahm ihn zum Glück nicht wahr, weil er gerade Imena, Kenar und Tejon grüßte.
„Heute werden wir für unsere Elementargeister mitessen.“
Kenar grinste breit, sagte aber nichts. Michelle freute sich, dass die beiden wenigstens eine Gemeinsamkeit hatten, die sie einte.
Wie ein König erschien Gemon zuletzt und nickte Mara und den anderen Näherinnen zu, die neben ihn traten. Sie trugen jeweils einen Umhang über den linken Arm gelegt und erinnerten Michelle an pflichtbewusste Butler. Mara beugte sich zu dem Leithengst, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern.
„Unsere Stuten haben fleißig gearbeitet, um diese Umhänge fertig zu stellen“, sprach Gemon. „Mögen sie euch gut auf eurer Reise dienen. Als Erstes soll die Menschenfrau vor mich treten.“
Michelle erstarrte und Damaris berührte sie sanft am Ellbogen. Tief atemholend stand sie auf und schaffte es, nicht zu stolpern. Warum hatte keiner sie darauf vorbereitet, dass die Zentauren ein Ritual daraus machen wollte?
„So wie dieser Umhang dich vor Kälte schützt, erfülle die Prophezeiung.“
Was sollte sie darauf erwidern? Ihre Stimme war so leise, dass nur Gemon sie hörte, als sie sagte, dass sie ihr Bestes gäbe. An seiner Miene erkannte sie, dass er mit der Antwort oder Lautstärke nicht zufrieden war. Vermutlich mit beiden. Nach ihr rief er Nick zu sich, der den Blick des Zentauren starr erwiderte. Gemon lächelte.
„Du hast deinem Vater bestimmt viel Unmut bereitet.“
„Mehr als du dir vorstellen kannst.“
„Dann sollst du ein Stachel in Alukas Fleisch sein. Kenar, möge nun vortreten.“
„Er will uns die Umhänge einzeln geben?“, stöhnte Gavin leise. „Das Essen wird doch kalt.“
Daran zweifelte Michelle, denn die Speisen dampften. Nachdem auch Chalina und Gavin ihre Umhänge entgegengenommen hatten, eröffnete Gemon das Mahl. Michelle füllte sich einen Teller mit einer cremigen Pilzsuppe und brach ein Stück Brot ab.
„Von welchem Stamm kommst du, Kenar?“, fragte Gemon.
„Ich bin ein Nika.“
„Sie sollen mutige Krieger sein, die häufig den Wald verlassen, um Alukas Kreaturen zu erschlagen. Hast du viele getötet?“
Kenar lächelte.
„Ja, das habe ich.“
Ein rothaariger Zentaur wischte sich den Mund ab. „Lass uns die Fähigkeiten eines Kriegers der Nika sehen.“
Statt zu antworten, trat Kenar in den Kreis, den die Tische bildeten, und zog sein Schwert. Die Zentauren begannen mit ihren Hufen zu stampfen, der Herausforderer verschwand und trabte dann mit einem Speer in der Hand ebenfalls in den Ring.
„Kenar wird verlieren“, meinte Nick grinsend.
„Wie kommst du darauf?“
„Ein Speer hat eine bessere Reichweite.“
Michelle schaute auf die Kämpfer. Sie fand, dass der Speer im Gegensatz zu dem Schwert zerbrechlich wirkte, aber tatsächlich musste Kenar den ersten beiden Speerstößen ausweichen, bevor er beim dritten Stoß die Waffe packte und seinen Gegner mit solcher Kraft zu sich zog, dass er ihm die Schwertspitze unter das Kinn halten konnte. Der Kampf war so schnell vorbei, dass einen Moment überraschtes Schweigen herrschte, dann aber brach Jubel aus und Kenars Herausforderer nickte zufrieden.
„Schade, dass Jaron dir bereits Unterkunft gewährt hat. Ich hätte die Gelegenheit genutzt, einiger deiner Jagdgeschichten zu hören.“
Michelle sah zur Chalina und merkte, dass ihr Gesicht abweisend wirkte. Das passte nicht zu der freundlichen Waldnymphe. Auf einmal wandte sie sich vom Tisch ab und ging. Besorgt blickte sie ihr nach.
„Ich frag mich, ob mit Chalina alles in Ordnung ist.“
„Ich weiß, was mit ihr los ist.“ In diesem Moment erinnerte Gavin sie an Rumpelstilzchen.
„Verrätst du es mir?“
Er neigte den Kopf, als müsste er sich die Entscheidung gut überlegen, aber seine blitzenden Augen verrieten, dass alles gespielt war.
„Es ist so, dass die Waldnymphen und Zentauren gestritten haben, wer auf den Heiligen Baum hier achten soll. Die Nymphen sagten, dass sie die besten Hüter wären, weil sie sich mit Pflanzen auskennen, aber die Zentauren meinten, dass der Heilige Baum richtige Wächter verdient hätte und haben sich einfach angesiedelt. Die Waldnymphen haben sich zurückgezogen, weil in seiner Nähe kein Unfrieden herrschen sollte. Jeder Nymphenstamm kennt diese Geschichte und verurteilt Gemons Herde dafür, dass sie die Nymphen vertrieben haben.“
Klang, als wären Kenars Artgenossen rücksichtslos, wenn sie etwas wollten.
„Genieß das Essen, solange du kannst“, sagte Nick und stupste sie mit dem Ellbogen an, bevor er dem vor ihnen gebratenen Vogel einen Flügel abriss. „Ab morgen gibt es wieder Wurzel und Gemüse.“
Gavin lachte. „Du klingst ja fast wie ein Zentaur.“
„Wartet lieber, bis der Eber verteilt wird“, sagte Damaris. „Normalerweise essen nur Jäger von ihm, aber vielleicht machen sie eine Ausnahme. Außerdem wird der Proviant, den die Zentauren uns mitgeben, Räucher- oder Trockenfleisch enthalten.“
Nick verzog den Mund. „Hört sich so verlockend an wie Zwieback.“
Tatsächlich schien das, was die Zentauren bis jetzt gegessen hatten, für sie nur Vorspeisen gewesen zu sein. Gemon schritt mit zwei Stuten zum Eber und deutete auf die Brust. Flink schnitten seine Begleiterinnen zwei große Stücke ab und brachten sie Michelle und Kenar. Sie war froh, dass sie bloß eine Suppe und etwas Brot gegessen hatte, denn das Stück erschien ihr riesig. Nein, es war riesig!
„Wollen wir es uns teilen?“, fragte sie Nick leise.
„Ich verzichte.“
Michelle machte sich dran, dass Wildbret zu essen. Es hatte einen stärkeren Eigengeschmack als Rind, war aber geschickt gewürzt. Nach der Hälfte fühlte sich ihr Magen an, als würde er platzen, wenn sie mehr aß. Kenar dagegen hatte inzwischen nicht nur seine Portion verschlungen, sondern auch noch einen Fasan. Hoffentlich beleidige ich nicht unsere Gastgeber, dachte sie, als sie das Messer beiseitelegte und sich die Hände in der Wasserschale wusch. Selbst Nick und Gavin schienen satt zu sein.
Imena ergriff das Wort: „Gemon, wir danken dir und deinem Stamm für eure Großzügigkeit, aber wir werden uns jetzt zur Ruhe begeben. Wir wollen bei Sonnenaufgang aufbrechen.“
„Geht nur und verlasst euch darauf, dass wir euch den Proviant vor Sonnenaufgang bringen.“
Doria trabte zu ihnen und bemerkte das nicht aufgegessene Eberfleisch. Sie nahm den Teller auf. „Ich packe es dir für morgen ein. Kommt.“
Während sie Doria zu ihrem Haus folgten, schwatzte diese aufgeregt. Sie schien sich wirklich darüber zu freuen, dass sie Menschen beherbergte. Auch hatte sie wie angekündigt zwei Decken besorgt und auf die Erde gelegt.
„Mit dem Fleisch über dem Herzen wird der mutigste Jäger belohnt“, sagte die Zentaurin, während sie es sorgfältig einpackte. „Vergiss es ja nicht.“
Nachdem sie sich einander eine gute Nacht gewünscht hatten, legten sich Michelle und Nick auf die Decken und Doria stellte sich in eine andere Ecke. Es vergingen wenige Minuten, da schnarchte die Zentaurin laut und Michelle zweifelte, dass sie in dieser Nacht Schlaf fände.
Plötzlich stieg ein warmes Gefühl in ihr auf und sie erinnerte sich, dass ihre Familie, als sie acht Jahre alt gewesen war, einen Malteser aus dem Tierschutz aufgenommen hatte. So klein dieser Hund auch war, so laut schnarchte er, und Michelle, die sich zuerst gefreut hatte, dass der süße Kerl ihr Zimmer zum Schlafplatz auserkoren hatte, konnte in den ersten drei Tagen kaum schlafen. Aber dann hatte sie sich daran gewöhnt und es hatte sogar etwas Einschläferndes. Michelle spürte, wie sie lächelte, bevor sie in den Schlaf fiel.
Müde zwinkernd schlug Michelle die Augen auf und bemerkte, dass Nick fort war. Vielleicht muss er mal, dachte sie, schloss die Lider und dämmerte wieder weg, bis ein Schrei sie weckte.
„Der Heilige Baum brennt!“
Erschrocken richtete sie sich auf.
„Oh nein!“, rief Doria und stürmte mit allen drei Eimern hinaus.
„Vielleicht können wir helfen“, meinte Nick.
Sie sprangen auf und liefen hinaus. Die Zentauren galoppierten alle zum Teich, um Wasser zu holen.
„Geht uns aus dem Weg!“, rief einer und sie drängten sich rasch an die Wand der Hütte.
„Die machen es einem echt nicht leicht, freundlich zu sein“, flüsterte Nick.
„Er hat aber recht. Sie sind viel schneller als wir, trotzdem möchte ich zum Heiligen Baum und sehen, was mit ihm ist. Gehen wir da entlang.“
Sie benutzten den Weg hinter Dorias Haus, den nur wenige Zentauren entlangliefen. Bald roch Michelle verbranntes Holz, in dem sich ein lieblicher Geruch mischte. Als sie den Dorfrand erreichten, sah sie, dass der Strauch in Flammen stand. Hinter ihnen hörte sie Hufgetrappel und nahm den Blick vom brennenden Strauch. Kenar, Chalina, Damaris und Gavin kamen herangeeilt. Abrupt blieb die Nymphe neben ihnen stehen und japste mit weit aufgerissenen Augen nach Luft, während der Satyr seine Finger in ihr Kleid krallte.
„Was sollen wir nur tun? Das ist eine Katastrophe. Eine Katastrophe!“
Keiner beantwortete ihm die Frage. Bis das Feuer gelöscht war, waren ihm bereits alle Blätter und Blüten zum Opfer gefallen. Inzwischen hatten sich Imena und Tejon zu ihnen gesellt.
„Lasst mich hindurch!“
Die Zentauren machten der Nymphe Platz. Tränen glitzerten auf ihren Wangen. Chalina kniete neben dem Heiligen Baum nieder und berührte vorsichtig den Stamm. „Er ist noch am Leben, aber sein Zauber ist gebrochen.“
Gemon fuhr herum. „Wer von euch war es?“
„So schwer bin ich nie beleidigt worden.“
Imena umfasste Kenars Arm, bevor er sein Schwert ziehen konnte. Selbst in dieser Nacht hatte er es nicht abgenommen.
„Das kann kein Zufall sein. Ihr übernachtet hier und ein Feuer tötet fast unseren Heiligen Baum.“
Die Zentauren murmelten zustimmend und rückten näher heran.
„Vergiss nicht, wir sind alle Verbündete im Kampf gegen Aluka.“
Imenas Stimme schien Gemon zu beruhigen, doch Michelle sah, dass sich an seinem Verdacht nichts geändert hatte. Nacheinander starrte er sie an. Als sein Blick auf Nick fiel, deutete er auf ihn.
„Was ist mit ihm? Die Prophezeiung spricht nicht von ihm.“
„Das ist nicht der Zeitpunkt, uns gegenseitig zu verdächtigen. Alukas Geschöpfe können nun in den Wald eindringen. Wirst du uns ein paar Krieger zur Verfügung stellen, die uns helfen, die Erwählte zu schützen?“
„Nein, mit jedem meiner Männer werde ich den Baum verteidigen. Ihr aber verlasst sofort unser Dorf.“
„Das werden wir, sobald wir unsere Sachen geholt haben.“
Wie ein bedrohlicher Schatten folgten die Zentauren ihnen. Auch Doria, die sich zuerst so gefreut hatte, ja sich sogar vorgedrängt hatte, um sie aufzunehmen, betrachtete sie nun, als wären sie Verbrecher.
„Wir bleiben zusammen,“ entschied Imena leise. „Zunächst holen wir die Umhänge für Michelle und Nick.“
Ob das eine gute Idee war? Michelle wollte so schnell wie möglich, das ihnen feindselig gewordene Dorf hinter sich lassen, und ihr wurde schlecht bei dem Gedanken, dass sie drei Hütten aufsuchen mussten. Doria huschte als erstes in ihr Haus und stellte sich vor den Tisch. Ob sie Angst hatte, dass sie ihr etwas stahlen?
Als Michelle und Nick sich bückten, um ihre Umhänge aufzunehmen, sagte die Zentaurin: „Was für eine Schande! Niemand wird je vergessen, dass in der Nacht, in der ihr bei mir geschlafen habt, der heilige Baum gebrannt hat – selbst wenn ihr die Prophezeiung erfüllt!“
War es ihr nur darum gegangen, später vor ihren Freundinnen angeben zu können? Michelle presste die Lippen aufeinander und folgte Nick nach draußen. Einige Zentauren hatten inzwischen ihre Speere geholt und blickten sie mit finsteren Gesichtern an.
Sofort nahmen ihre Gefährten sie in die Mitte und Gavin flüsterte Imena zu: „Können wir nicht einfach auf den Rest verzichten und verschwinden?“
„Nein, wir werden Damaris‘ Schwerter nicht zurücklassen, außerdem würden die Zentauren sich entehren, wenn sie verhindern, dass wir die Geschenke mitnehmen.“
Nachdem sie zu Jarons und Gemons Haus gegangen waren und die Sachen geholt hatten, bewegten sie sich endlich auf die Bäume zu. Mit scharfen Krallen schien die Furcht Michelles Rücken entlang zu fahren. Fast erwartete sie, dass ein Speer durch die Luft sauste, um einen von ihnen zu verletzen. Ihre Sinne waren geschärft. Der Geruch von Gavins Angst biss ihr in die Nase und sie hörte irgendwo ein Kind weinen.
Jeder Baumstamm, den sie hinter sich ließen, kam Michelle wie ein Schutzschild vor und allmählich entspannte sie sich. Dachten die Zentauren wirklich, einer von ihnen hätte das Feuer gelegt? Sie ballte die Hände zu Fäusten.
„Mach dir nichts draus“, sprach Gavin. „Zentauren sind …“ Er schielte zu Kenar. „Schwierig.“

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